Der ab dem 21. Dezember beginnende und auf unbestimmte Zeit angelegte Ausstand der Genfer Kinderärzte könnte weitere Kreise ziehen.
Wie die Groupe des Pédiatres Jurassiens (PedJu) in einer Mitteilung schreibt, behalten sich die Jurassischen Kinderärzte vor, «sich dem angekündigten Streik der Notfalldienste anzuschliessen, falls die Bundesgerichtsentscheide auch unabhängige Pädiater betreffen sollten.» Und weitere Arztpraxen, vor allem Gemeinschaftspraxen, sind gefährdet.
Einschüchterungsversuche
Worum geht es? «Es scheint, dass niedergelassene Ärzte in Privatpraxen von den Bundesgerichtsurteilen nicht betroffen sind. Dennoch haben es sich einige Krankenkassen erlaubt, private Kollegen einzuschüchtern, indem sie rückwirkend Rückzahlungen fordern», heisst es in der Mitteilung.
Diese Einschüchterungsversuche seien der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe. «Unsere Einsätze, sowohl tagsüber als auch an Wochenenden, sind tariflich geregelt, und wir haben nicht vor, diese Vergütungen aufzugeben», betont Pierre-Olivier Cattin, Kinderarzt in Porrentruy und Präsident der PedJu gegenüber «Le Temps».
Damit treten die jurassischen Ärzte wie viele andere Einrichtungen in der Westschweiz in einen offenen Konflikt mit den Krankenkassen.
Existenz gefährdet
Im Hintergrund stehen zwei Bundesgerichts-Urteile, welche die kategorische Abrechnung gewisser Notfallpauschalen für unzulässig erklärten; in den Fällen ging es um Notfallpraxen, Permanencen, Walk-in-Praxen. In der Folge haben erste Einrichtungen wie die Notfallpraxis Sursee den Betrieb bereits eingestellt.
Verschärft wird die Lage, weil die Krankenkassen nun Rückforderungen stellten für fälschlich ausbezahlte Entschädigungen in den vergangenen fünf Jahren.
Auch im Wallis scheinen beispielsweise mehrere Zentren gefährdet. Das Notfallzentrum Vigimed in Martigny steht vor Rückzahlungen in Höhe mehrerer Hunderttausend Franken, wie Verwaltungsratspräsident Loïc Bruttin in «Le Nouvelliste» erklärte. «Das könnte Vigimed in den Ruin treiben», warnt Bruttin.
Ebenso bedroht ist die Stiftung Hausarzt Notfall Oberwallis (HANOW), welche die hausärztliche Notfallversorgung in der Region sicherstellen soll. «Die Notfallpauschalen machen etwa 20 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus. Ihr Wegfall gefährdet unsere Existenz», erklärt Silvio Pacozzi, Vizepräsident der Stiftung gegenüber dem «Walliser Boten». Besonders schwer wiege die Forderung, die Beträge rückwirkend für fünf Jahre zurückzuzahlen. «Das wäre für uns schlicht nicht verkraftbar».
Notfallpauschalen: Das Minenfeld der Rückforderungen. Nach dem Bundesgerichtsurteil zur Notfall-Abrechnung gehen jetzt in der Romandie die Wellen hoch: Ärzte warnen vor Pleiten und Lücken, Politiker planen Vorstösse in Bern.
In der Westschweiz wurde die Debatte angestossen durch den Beschluss der Genfer Kinderärzte, zur Weihnachtszeit mit einem Ausstand zu protestieren. Intensiviert wurde sie durch eine grosse Recherche, in der «Le Temps» den Druck aufzeigte, welchen die Krankenkassen auf Praxen ausüben. Und in den Tagen seither wurde «l'affaire des centres médicaux d'urgences» mehrfach zum Fernseh-, Radio- und Zeitungsthema, von der «Liberté» in Freiburg bis zum «Nouvelliste» im Wallis.
Dabei geriet in der Westschweiz ein weiteres Detail ins Zentrum: die Rückforderungen der Krankenkassen. Respektive die Absicht der Versicherer, auf diesem Wege ihre Reserven zu äufnen.
Ein halbes Dutzend Anfragen aus dem Nationalrat wandten sich in dieser Woche mit genau dem Thema an den Bundesrat. Die Anwort: «Der Bundesrat nimmt die Aussagen ernst, wonach die Urteile des Bundesgerichts zu finanziellen Schwierigkeiten und in einigen Fällen sogar zu Konkursen führen könnten», so die schriftliche Sammelantwort auf die diversen Vorstösse aus den Reihen von FDP, Mitte, SP, GP und GLP. Aber zur Zeit sei ein politische Eingreifen nicht opportun, weil es eine Angelegenheit der Vertragspartner sei. Und so lädt der Bundesrat «die betroffenen Organisationen dazu ein, sich so schnell wie möglich auf vernünftige Lösungen zu einigen, insbesondere was die Rückwirkung betrifft.»