Vom Lebensabend zum Lebensnachmittag – Visento
Vom Lebensabend zum Lebensnachmittag
Politik/Gesellschaft
Zwei Senioren auf einer Bank im Park wird oft zur Metapher für die gesellschaftliche Vorstellung vom Alter. Foto: KI

Vom Lebensabend zum Lebensnachmittag

29.09.2025
von silberprojekt/pero · 212 x gelesen

Das Gesundheitssystem und die gesellschaftliche Entwicklung in der Schweiz haben wesentliche Auswirkungen auf das Leben älterer Menschen. Dank medizinischem Fortschritt, besserer Prävention und höherem Wohlstand leben viele Seniorinnen und Senioren heute länger bei guter Gesundheit. Sie haben grössere Handlungsfreiheiten bezüglich des Austritts aus dem Erwerbsleben und können den Übergang in die Rente individuell gestalten. Ein Vierteljahrhundert zur freien Gestaltung ist für viele keine Ausnahme mehr, sondern eine immer selbstverständlichere Option.

Dieser „Lebensnachmittag“ ist geprägt von neuen Möglichkeiten: Reisen, Weiterbildungen, kulturelle Aktivitäten oder auch freiwilliges Engagement. Viele ältere Menschen übernehmen Betreuungspflichten in der Familie, unterstützen Enkelkinder oder engagieren sich im Quartierleben. Damit leisten sie einen aktiven Beitrag zur Gesellschaft, der weit über das klassische Bild des Ruhestands hinausgeht.

Gesellschaftliche Stereotypen

In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich dieses neue Bild allerdings noch nicht voll durchgesetzt. Medien und Werbung setzen Ruhestand häufig mit Nichtstun gleich. Noch immer sehen wir die stereotype Darstellung des älteren Menschen auf der Parkbank – wartend, passiv, abseits des Geschehens. Dabei wird eine ganze Generation in ein Klischee gedrängt, das ihrem realen Leben kaum entspricht.

Das Kurzvideo des Silberprojekts illustriert dies mit einem Augenzwinkern: Eine Bank im Park wird zur Metapher für die gesellschaftliche Vorstellung vom Alter. Doch während dieses Bild für manche auch eine angenehme Phase der Erholung widerspiegelt, blendet es die Vielfalt der Lebensentwürfe im Alter aus.

Zwischen Freiheit und Einschränkung

Es ist legitim und nachvollziehbar, wenn Menschen nach einem langen und anstrengenden Berufsleben den Ruhestand nutzen, um sich bewusst eine Phase der Ruhe zu gönnen. Wer ein halbes Jahrhundert gearbeitet hat, darf auch einmal „gar nichts tun“. Dieses Recht auf Entschleunigung ist Teil der Würde des Alters.

Gleichzeitig gibt es viele, die weiterhin aktiv bleiben möchten. Sie wollen ihre Erfahrungen einbringen, Neues lernen oder Projekte verwirklichen, für die vorher keine Zeit war. Doch nicht alle haben die gleichen Möglichkeiten: Gesundheitliche Einschränkungen oder finanzielle Engpässe können dazu führen, dass Engagement und Aktivität schwieriger werden. Damit zeigt sich, dass Alter nicht nur eine Zahl ist, sondern ein sehr heterogener Lebensabschnitt – mit Chancen, aber auch mit Herausforderungen.

Neue Rollen im gesellschaftlichen Gefüge

Ältere Menschen sind längst nicht mehr nur Empfänger von Fürsorge. Sie sind Träger von Wissen, Erfahrung und sozialem Kapital. In vielen Vereinen, Initiativen und Hilfsorganisationen wären ohne Seniorinnen und Senioren zentrale Aufgaben nicht zu bewältigen. Besonders im Bereich der Freiwilligenarbeit zeigt sich, wie unverzichtbar diese Generation für das Funktionieren des sozialen Miteinanders ist.

Darüber hinaus übernehmen viele Ältere eine Schlüsselfunktion in den Familien. Sie fangen Betreuungslücken auf, übernehmen Kinderhüten oder pflegen Angehörige. Damit entlasten sie sowohl die jüngere Generation als auch die staatlichen Systeme – eine Leistung, die oft im Verborgenen bleibt, aber gesellschaftlich von hohem Wert ist.

Ein Plädoyer für Vielfalt

Der Blick auf ältere Menschen sollte daher differenzierter werden. Alter ist kein homogener Zustand, sondern ein vielfältiger Lebensabschnitt. Manche wollen sich ausruhen, andere suchen neue Aufgaben, wieder andere kämpfen mit gesundheitlichen Grenzen. All diese Realitäten verdienen Anerkennung und Respekt.

Wenn wir vom „Lebensnachmittag“ sprechen, geht es nicht darum, das Alter zu verklären. Es geht darum, die Freiheit zu sehen, die sich viele erarbeitet haben – und zugleich jene nicht aus dem Blick zu verlieren, die auf Unterstützung angewiesen sind. Nur so entsteht ein realistisches Bild, das der gesellschaftlichen Bedeutung älterer Menschen gerecht wird.

Fazit

Die Vorstellung vom „Lebensabend“ als stillem Rückzug ist überholt. Immer mehr Seniorinnen und Senioren gestalten ihren „Lebensnachmittag“ aktiv, selbstbestimmt und vielfältig. Politik, Medien und Gesellschaft sind gefordert, diese Realität stärker abzubilden und Stereotypen hinter sich zu lassen. Denn das Alter ist längst nicht nur ein Abbild der Vergangenheit – es ist ein eigenständiger, wertvoller und lebendiger Lebensabschnitt.

Thema Fakten
Lebenserwartung Frauen ca. 84 Jahre, Männer ca. 81 Jahre (2023)
Bevölkerung 65+ Rund 20 % der Schweizer Bevölkerung ist älter als 65 Jahre
Aktives Alter Viele Seniorinnen und Senioren bleiben nach der Pensionierung noch 15–25 Jahre körperlich und geistig aktiv
Freiwilligenarbeit Mehr als ein Drittel der Menschen über 65 engagiert sich in Vereinen, Kirchen oder Nachbarschaftsinitiativen
Familienhilfe Grosseltern leisten jährlich Millionen Stunden an Betreuungsarbeit für Enkelkinder
Gesundheit Die Mehrheit der älteren Menschen bezeichnet ihre Lebensqualität trotz chronischer Erkrankungen als gut

Hinweis: Zahlen gerundet, Quelle u. a. Bundesamt für Statistik (BFS).

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