Der Weg der Klimaseniorinnen in einem neuen Buch – Visento
Der Weg der Klimaseniorinnen in einem neuen Buch
Wissen
Nach der Urteilsverkündung vom 9. April 2024 vor dem EGMR. Foto © Miriam Künzli / Greenpeace

Der Weg der Klimaseniorinnen in einem neuen Buch

12.10.2025
von pero · 86 x gelesen

Sie geben nicht auf. Sie gehen einen jahrelangen, hürdenreichen Weg, müssen sich Hohn und Spott anhören, werden beleidigt und bedroht. Doch sie machen weiter – manche von ihnen hochbetagt und gesundheitlich angeschlagen. Sie glauben an sich, an ihre junge Rechtsanwältin, sie haben Greenpeace an ihrer Seite – und eine klare Message: Der Klimaschutz muss vorangetrieben, der Staat in die Pflicht genommen werden. Es geht um den Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens. 

Um das zu erreichen, verklagen die KlimaSeniorinnen die Schweiz. Sie verlieren in ihrer Heimat vor jeder Instanz und ziehen den Fall nach Strassburg weiter, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Am 9. April 2024 gelingt ihnen, womit kaum jemand gerechnet hat: Der EGMR gibt ihnen Recht. Das Urteil schlägt binnen Minuten weltweit hohe Wellen: Klimaschutz wird als Menschenrecht anerkannt. Die alten Frauen aus der Schweiz stehen international im Rampenlicht. Sie haben gewonnen – für sich, für alle anderen, für künftige Generationen.

Der lange Weg vor Gericht

Der Weg der KlimaSeniorinnen begann bereits 2016, als der Verein und mehrere Einzelpersonen beim Bundesrat ein Gesuch einreichten, das jedoch abgelehnt wurde. Danach folgten Beschwerden ans Bundesverwaltungsgericht (2018), das Bundesgericht (2020) – alle wiesen die Klage ab mit der Begründung, dass die Klagenden nicht hinreichend individuell betroffen seien und politische Instanzen zuerst zuständig seien. Schliesslich führten sie ihre Klage weiter zum EGMR. (Quelle: Humanrights.ch)

Der EGMR nahm den Fall an und wies ihn an die Grosse Kammer – selten bei Umwelt- oder Klimaklagen. Am 29. März 2023 fand die öffentliche Verhandlung statt.  Am 9. April 2024 verkündete die Grosse Kammer ihr Urteil: Die Schweiz verletze das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), weil sie nicht rechtzeitig und konsequent genug Massnahmen zum Klimaschutz ergriffen habe.

Besonders bemerkenswert: Der EGMR erkannte als erste internationale Menschenrechtsinstanz, dass ein Staat durch Untätigkeit im Klimaschutz die Rechte seiner Bürgerinnen verletzen kann.Erstmals wurde auch die Legitimation eines Vereins in einem Umweltfall anerkannt – hier: der Verein KlimaSeniorinnen selbst als Beschwerdeführerin. (Quelle: Institut für Menschenrechte)


Reaktionen, Wirkung und Herausforderungen

In der Schweiz fiel das Urteil unterschiedlich aus. Der Bundesrat nahm es zur Kenntnis, bekräftigte aber, die Schweiz erfülle bereits viele klimapolitische Verpflichtungen. (Quelle: BAFU) Das Parlament erklärte mit grosser Mehrheit Kritik am Urteil, warf dem EGMR gerichtliches Aktivismus vor und forderte, das Urteil nicht vollständig umzusetzen. (Quelle: Verfassungsblog) In manchen Kreisen wurde das Urteil als Eingriff in die Gewaltenteilung bezeichnet.

International gilt das Urteil als wegweisend: Es eröffnet anderen Gruppen in Europa die Möglichkeit, Staaten auf angemessene Klimaschutzmassnahmen zu verpflichten, wenn politischer Weg unzureichend ist. (Quelle: SRF) 


Die Menschen hinter der Bewegung

Hinter den KlimaSeniorinnen stehen über 2 500 Frauen (Stand April 2024), die sich seit Jahren zu Wort melden, sich organisieren, öffentlich auftreten und juristisch kämpfen. (Quelle: Wikipedia, KlimaSeniorinnen) Ihre juristische Federführung übernahm die junge Klimarechtsanwältin Cordelia Bähr, die in der juristischen Szene für ihre strategischen Verfahren im Umwelt- und Menschenrechtsbereich bekannt ist. Sie bezog auch Einzelklagen von betroffenen Frauen ein, die unter Hitze gesundheitliche Beschwerden wie Herz- oder Atemprobleme angaben.

Ihre Geschichte wird in Publikationen, Dossiers und jetzt auch in einem Buch erzählt – mit Porträts der Frauen, ihrem Engagement und ihrem juristischen Kampf.


Das Urteil der KlimaSeniorinnen ist nicht nur ein juristischer Präzedenzfall – es ist ein politisches Signal. Es macht deutlich: Klimaschutz ist nicht länger nur eine Frage der Technik oder Ökonomie, sondern eine Frage von Menschenrechten. Und für diejenigen, die diesen Kampf führen, ist jedes Urteil ein Schritt näher an Gerechtigkeit und Hoffnung.

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