Damit tangiert die Initiative insbesondere das staatliche Gewaltmonopol (Polizeiwesen, Strafverfolgung und Strafvollzug, Militär, Ausländer- und Asylwesen etc.). Würde die Initiative angenommen, dürfte die Polizei beispielsweise ohne Zustimmung der betroffenen Personen keine Verdächtigen mehr festnehmen, und der Staat könnte keine ausländischen Straftäter mehr ausschaffen oder keine abgewiesenen Asylsuchenden mehr in ihr Heimatland zurückführen, wenn die Zustimmung dieser Personen fehlt. Insofern zielt die Initiative weit über Impfungen hinaus.
Grundrecht auf persönliche Freiheit und Zustimmungserfordernis
Das Grundrecht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit, ist in der Bundesverfassung festgeschrieben. Ein staatlicher Eingriff in das Grundrecht setzt grundsätzlich die Zustimmung der Betroffenen voraus.
Der Staat kann dieses Grundrecht aber unter bestimmten Bedingungen einschränken, etwa bei Massnahmen im polizeilichen Bereich, in der Strafverfolgung oder im Kindes- und Erwachsenenschutz. Bedingung ist, dass eine gesetzliche Grundlage besteht, ein öffentliches Interesse vorliegt oder die Grundrechte anderer Personen gefährdet sind und die Einschränkungen verhältnismässig sind. Die neue Verfassungsbestimmung würde hier zu einer grossen Rechtsunsicherheit führen, da unklar wäre, wie die genannten Bedingungen für die Einschränkung der persönlichen Freiheit von den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden ausgelegt und angewendet würden.
Bereits heute gilt: Keine Impfung ohne Einwilligung
Bereits heute darf in der Schweiz niemand gegen seinen Willen zu einer Impfung gezwungen werden. Für jede Impfung braucht es die Einwilligung der betroffenen Person.
Zur Bekämpfung von Epidemien sieht das Epidemiengesetz die Möglichkeit vor, dass die Kantone oder der Bundesrat eine Impfung für bestimmte Personengruppen und für eine begrenzte Zeit für obligatorisch erklären können. Dies, wenn eine erhebliche Gefahr besteht und die Bevölkerung nicht mit anderen Massnahmen geschützt werden kann. Lehnt eine Person die Impfung ab, kann dies für sie gewisse berufliche oder soziale Konsequenzen haben, bei Gesundheitsfachpersonen etwa der Wechsel in eine andere Abteilung. Ein solches behördliches Impfobligatorium auf Bundesebene wurde bisher noch nie zur Anwendung gebracht; weder während der H1N1-Pandemie 2009, noch in der Covid-19-Pandemie.
In der Abstimmung über das Epidemiengesetz im Jahr 2013 hat sich die Stimmbevölkerung klar für die Möglichkeit eines beschränkten Impfobligatoriums ausgesprochen. Der Bundesrat erachtet es zudem als angemessen, dass im Kontext einer Pandemiebekämpfung Personen ohne Impf- oder Immunitätsnachweis gewisse Einschränkungen der Teilnahme am öffentlichen Leben erfahren können, wenn damit weitergehende Massnahmen wie beispielsweise Schliessungen verhindert werden können.
Der Bundesrat beantragt dem Parlament, die Volksinitiative Volk und Ständen zur Abstimmung vorzulegen und sie ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.