Bargeldloses Bezahlen im ÖV – Segen für die einen, Problem für die anderen – Visento
Bargeldloses Bezahlen im ÖV – Segen für die einen, Problem für die anderen
Gedanken dazu ...
Die Seniorenvereinigung Vasos warnt, dass die Abschaffung von Bargeld an Billettautomaten die Mobilität älterer Menschen gefährdet.

Bargeldloses Bezahlen im ÖV – Segen für die einen, Problem für die anderen

10.10.2025
von Roland Peter · 193 x gelesen
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen bis 2035 sämtliche Billettautomaten auf bargeldlosen Verkauf umstellen. Andere Transportunternehmen wie die BLS AG oder die Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB) planen diesen Schritt bereits bis Ende 2025. Ziel ist es, den Betrieb zu vereinfachen, Wartungskosten zu reduzieren und den Kundinnen und Kunden den Ticketkauf über moderne, digitale Kanäle zu erleichtern.

Was auf den ersten Blick praktisch klingt, hat jedoch eine Schattenseite. Für viele Fahrgäste – insbesondere Seniorinnen und Senioren – bedeutet die vollständige Umstellung auf bargeldlose Zahlungen eine erhebliche Hürde. Denn nicht alle besitzen ein Smartphone, eine Kreditkarte oder sind mit den elektronischen Bezahlmethoden vertraut. Der Wegfall der Bargeldoption kann daher leicht zur sozialen Ausgrenzung führen – und im schlimmsten Fall zur Immobilität.

Als Ersatz wird von einigen Transportunternehmen eine sogenannte anonyme Prepaid-Karte angeboten, die an Verkaufsstellen mit Bargeld aufgeladen werden kann. Doch auch dieses Modell löst das Problem nur teilweise: Denn wer ohnehin in einer ländlichen Gegend wohnt oder in seiner Mobilität eingeschränkt ist, hat oft keinen einfachen Zugang zu einer entsprechenden Verkaufsstelle. Und was geschieht, wenn die Karte leer ist und der nächste Laden mehrere Kilometer entfernt liegt? Ohne gültiges Ticket kann der Weg dorthin selbst zum Problem werden.

Genau hier setzt die Kritik zahlreicher Seniorenorganisationen an. Die VASOS (Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz) fordert deshalb eine klare Kehrtwende in der aktuellen Entwicklung. Bargeld müsse auch künftig als Zahlungsmittel im öffentlichen Verkehr akzeptiert werden – oder es brauche echte, barrierefreie Alternativen. Niemand dürfe durch technische oder wirtschaftliche Hürden vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen werden.

Ein Blick in andere Branchen zeigt, dass es auch anders geht. So schreibt der Kanton Genf beispielsweise vor, dass Hotels und Restaurants Bargeld akzeptieren müssen – ganz im Sinne der Wahlfreiheit der Kundinnen und Kunden. Andere Kantone wie Luzern und Neuenburg zeigen mit Förderprogrammen, dass auch der Erhalt von wohnortnahen Verkaufsstellen möglich bleibt. Hier übernehmen die Kantone die Mehrkosten, um eine flächendeckende Grundversorgung sicherzustellen.

Diese Ansätze könnten auch für den öffentlichen Verkehr als Vorbild dienen. Denn Mobilität ist ein Grundrecht, keine technische Option. Gerade ältere Menschen, Familien mit kleinen Kindern oder Personen mit Beeinträchtigungen sind auf einfache, verlässliche und verständliche Zahlungsmöglichkeiten angewiesen. Wenn der Zugang zu einem Ticket von einer funktionierenden App, einem stabilen Internet oder einem Bankkonto abhängt, wird Mobilität plötzlich zur Hürde.

Die Diskussion geht daher weit über den ÖV hinaus. Sie berührt die Grundfrage, wie weit Digitalisierung gehen darf – und wo die Gesellschaft Grenzen ziehen sollte. Effizienz und Automatisierung sind wichtig, aber sie dürfen nicht auf Kosten der Teilhabe gehen. Ein modernes Land zeichnet sich nicht nur durch digitale Innovationen aus, sondern auch dadurch, dass niemand ausgeschlossen wird.

Maximale Digitalisierung darf analoge Möglichkeiten nicht ausschliessen. Wer das Bargeld abschafft, muss sicherstellen, dass niemand auf der Strecke bleibt – weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinn.

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